Sasel muss erhalten bleiben – aber das ist nicht alles!
Politische Offensive für Bildungsarbeit der Gewerkschaften nötig

30. Mai 2011

Liebe KollegInnen,

die Auseinandersetzung um den Erhalt von Bildungsstätten des DGB-Bildungswerkes muss meines Erachtens als politische Auseinandersetzung um die Aufgaben und den Stellenwert gewerkschaftlicher und politischer Bildung geführt werden.

Dazu braucht es das politisch aktive Bündnis von Beschäftigten, Teamern und den KollegInnen, die unsere Angebote nachfragen (möchten).

Das DGB-Bildungswerk Bund wird von allen DGB-Mitgliedsgewerkschaften getragen, also braucht es auch eine offene und öffentliche Positionierung in der Mitgliedschaft und in den Vorständen der Mitgliedsgewerkschaften zur Zukunft der Bildungsarbeit im DGB-Bildungswerk Bund.

Ich vermisse zum Beispiel schon lange eine breite und gemeinsame Bildungswerbung in allen Mitgliedsgewerkschaften für die Angebote politischer Bildung des DGB Bildungswerkes Bund für ArbeitnehmerInnen (Bildungsurlaub). Ich wünschte mir, dass im DGB-Bildungswerk Bund, ausgehend von Hattingen, neue demokratische Impulse zum Stellenwert von Bildung der Gewerkschaftsmitglieder und der BürgerInnen ausgingen. Das erscheint mir umso notwendiger, weil dies keine Themen sind, die allein den Vorständen zu überlassen wären, die von diesen allein zu bewältigen wären und weil der Verlust von eigenen Bildungsangeboten ein weiterer schwerer Verlust des in vergangenen Kämpfen Errungen wäre, ein weiteres Zeichen von Defensive!

Bildungsarbeit ist zwar keine Feuerwehr für akute Probleme, aber sie kann entscheidend dazu beitragen, das ehrenamtliche Engagement wirkungsvoll zu fördern und inhaltlich so auszugestalten, dass die Interessen abhängig Beschäftigter durch diese selbst offensiver und den veränderten politischen und ökonomischen Bedingungen angemessner vertreten werden können.

Die Bereitschaft zur gewerkschaftlichen und politischen Bildung, die Verfügbarkeit von Angeboten ist Teil des Kampfes um andere politische und sozialökonomische Kräfteverhältnisse in der Republik und um den Erhalt und Ausbau der Wirkungsmacht der Gewerkschaften. Stets aus der Defensive und allein auf der betrieblichen Ebene handelnd, verspielen wir das noch vorhandene Vertrauen in die Gewerkschaften. Heute verlieren wir Bildungshäuser, morgen ganze Gewerkschaftsverbände.

Der Kampf um Sasel, Niederpöcking und das Profil von Hattingen und um eine Zukunft des DGB-Bildungswerkes, auf welche verantwortungsbewusste ArbeitnehmerInnen auch zukünftig nicht verzichten möchten, ist nur als öffentliche und politische Auseinandersetzung wirkungsvoll und solidarisch zu führen.

In den vergangen 2 Jahrzehnten haben wir den Ausbau und die Re-Politisierung gewerkschaftlicher Bildung sträflich vernachlässigt, vor allem, wenn wir bedenken, welche Offensive unsere Gegner entfalteten.

Es gab zahlreiche Angriffe auf die Arbeitnehmerweiterbildung, die wir nicht abwehren konnten. Strukturell setzte der DGB auf ehrenamtliche „Ebenen“ gewerkschaftlicher Präsenz, was ausblieb ist eine Bildungs- und Förderstrategie für das angeblich erwartete ehrenamtliche Engagement. In zahlreichen Gewerkschaften sind Vertrauensleutestrukturen im Rückgang oder nicht mehr vorhanden, manche Betriebs- und Personalräte sind den DGB-Gewerkschaften nicht verbunden, der Teil der KollegInnen, die über betriebliche Strukturen nicht mehr erreichbar sind wächst. Die Gewerkschaftsmitglieder in der Nachberuflichkeit (SeniorInnen) werden nicht so, wie es ihren Potenzialen entspräche, zu einer gewerkschaftspolitischen Kraft entwickelt. Bildungsangebote für diese Gruppe der Gewerkschaftsmitglieder bleiben marginal, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass neue Verantwortungsrollen in der Nachberuflichkeit Bildungsbedarf nach sich zögen.

Ich habe bisher den Eindruck, dass auch ein Teil der von Entlassung bedrohten MitarbeiterInnen im DGB-Bildungswerk glaubt, man könne „für sich“ in den Hinterzimmern erträgliche Kompromisse aushandeln. Das mag für manche sozialen Belange auch gelingen und ist so gesehen berechtigt.

Aber: Die Schließung von Sasel und Niederpöcking sind eine ernste Warnung, die Zukunft der Bildungsarbeit in den Gewerkschaften nicht ins Gespräch zu bringen und zu neuen – politischen – Entscheidungen zu bewegen.

Hinzu kommt, das DGB-Bildungswerk und zahlreiche Mitgliedsgewerkschaften haben hunderte von freiberuflichen KollegInnen, die mit großer Kompetenz und Engagement die eigentliche Bildungsarbeit machen. Hier fehlt es an Vernetzungen, gemeinsamen Teamerpools und eine Interessensvertretung dieser freiberuflichen KollegInnen, die für die Arbeitswelt außerhalb der Gewerkschaften Vorbildcharakter hätte. Heute haben in den QM-Führungsdokumenten des DGB-Bildungswerkes diese BildungsarbeiterInnen keinen Mitarbeiterstatus, sie sind „Lieferanten“, formal den „Eier“-lieferanten gleichgestellt. Ihre Einkommens- und sozialen Standards sind von der tariflichen Entwicklung im DGB und im DGB-Bildungswerkes zu deren Ungunsten abgekoppelt.

Zu Fragen der Zukunft des DGB-Bildungswerkes Bund ist die Mehrheit der BildungsarbeiterInnen kein Gesprächs- und Verhandlungspartner.

So kann ein relativ kleiner Apparat um eine Geschäftsführung, deren Einbindung in gewerkschaftliche Interessen und in den Willen der Mitgliedsgewerkschaften des DGB-Bildungswerkes nicht mehr sichtbar ist, und im Vergleich zum Ende der 80iger Jahre mit einem personell und organisationspolitisch geschwächten Personal der Bildungsstätten, eine höchst intransparente und wie es scheint willkürliche Geschäftspolitik verfolgen.

Die Entwicklungen waren jedoch in den vergangen zwei Jahrzehnten widersprüchlich, es wurden Bildungshäuser geschlossen, neue Geschäftsfelder in Düsseldorf erschlossen, die offene politische Bildung (Bildungsurlaub) erfolgreich inhaltlich und methodisch entwickelt, profiliert und über länger Zeit ausgebaut. Das Forum Politische Bildung gehört zu den erfolgreichen Geschäftsfeldern, mit dem Schwerpunkt in Hattingen. Das Tagungshaus Hattingen wurde baulich, aber vor allem in der Qualität der Ausstattung und des täglichen Service für die Bildungsarbeit und den Hotelbetrieb bemerkenswert ausgebaut, allerdings bei Schwächung des hauptberuflichen Personalbestandes, insbesondere unter den BildungsarbeiterInnen.

Aber auch der Erhalt, ja der erforderliche Ausbau politischer Bildung in einer Zeit notwendiger politischer Auseinandersetzungen um die soziale und demokratische Zukunft der Republik findet unter erschwerten Bedingungen statt.

Die staatliche Förderung sinkt. Mit der erhobenen Kostenbeteiligung stoßen wir an Grenzen bei den nachfragenden Mitgliedern.

Der Verlust von Sasel und Niederpöcking bedeutete auch einen Attraktivitätsverlust von Angeboten politischer Bildung. Für Hamburg gibt es ortsbezogene Themenangebote und insgesamt dürften wir unseren KollegInnen zugestehen, dass auch Bildungsurlaub einen Erlebnischarakter an wechselnden und attraktiven Orten verdient.

Es scheinen neue Hemmschwellen zur Inanspruchnahme von Bildungsurlaub zu entstehen. Deshalb bräuchte es eine breitere und von Konkurrenzdenken freie Bildungswerbung für diese Angebote und den Bildungsurlaub allgemein in wirklich allen Mitgliedsgewerkschaften. Die von allen Gewerkschaften des DGB gemeinsam finanzierte politische Bildung sollte als stark beworbener Teil des Mitgliederservice jeder dieser Gewerkschaften Beachtung finden, gehört er doch zu den gemeinsam finanzierten attraktiven Leistungen. Warum als auf dieses Plus verzichten? In der IG BCE gibt es jüngst in der Bildungswerbung für Angebote des Forums Politische Bildung gute und spürbare Fortschritte. Da zahlreiche Einzelgewerkschaften keine oder wenig eigene Bildungsurlaubsangebote machen und auch Arbeit und Leben und einige Landes-Bildungswerke des DGB höcht unterschiedlich Bildungsurlaub anbieten, wäre die gemeinsame Werbung für unsere Angebote und für den Bildungsurlaub eine politische Daueraufgabe!

Eine Gruppe von KollegInnen des Forum Politische Bildung in Hattingen hat mit Unterstützung von ver.di begonnen eine Interessensvertretung der Freiberuflichen aufzubauen. Deren Anliegen betreffen nicht nur die sozialen Standards ihre Arbeitsbedingungen und Einkommen, sondern gerade auch die Bereitschaft, ja die Forderung, an der Zukunft der politischen und gewerkschaftlichen Bildungsarbeit mitzuwirken. Das betrifft sowohl die Forderung nach Mitbestimmung bei Entscheidungen im DGB-Bildungswerk, als auch die Bereitschaft und den Willen, im DGB-Bildungswerk und mit den Interessierten und Verantwortlichen im DGB und in den Mitgliedsgewerkschaften die Diskussion und zukunftsfähige Entscheidungen zum Stellenwert, zu den Funktionen, zu den Inhalten und Methoden, zu den Zielgruppen und zur Bildungswerbung der politischen Bildung im DGB-Bildungswerk und in den Gewerkschaften insgesamt anzustoßen.

Wir wünschten uns, dass die KollegInnen in Niederpöcking und Sasel unsere gemeinsamen und auch spezifischen Anliegen zu einer politischen Bildungsoffensive in den Gewerkschaften unterstützten.

Bernd Wittich
Teamer in Hattingen